Nicht nur für den Menschen, auch für unsere Haustiere wird der Ruf nach Hilfe für den Bewegungsapparat stetig größer. Die Gründe hierfür sind in einer Vielzahl von
unterschiedlichen Bereichen zu finden, sei es schlechte Haltung, falsche Fütterung, falsches Training, schlechte Ausrüstung oder auch die immer größer werdende Problematik der
Überzüchtung.
Da die Berufsausbildung aber keiner staatlichen Prüfung unterliegt, kann sich JEDER als Therapeut bezeichnen und als solcher arbeiten, unabhängig ob er durch eine
fundierte Ausbildung Fachkenntnisse erworben hat oder nicht. Genau hier fängt die Schwierigkeit an, wie ein Tierbesitzer einen guten von einem schlechten Therapeuten unterscheiden kann.
Sicher, man kann sich heutzutage im Vorfeld in den Medien informieren. Doch Vorsicht, gerade bei im Fernsehen gehypten Personen steht nicht nur die Fachkenntnis zur
Debatte, sondern auch Profit, Bekanntheitsstatus, Ruf usw. Nicht zu vergessen, dass es zusammengeschnittene Szenen sind, wodurch der Zuschauer einiges an Versuchen, Fehlversuchen, Gesprächen oder
gar Manipulationen gar nicht mitbekommt. Somit wird lediglich ein Eindruck vermittelt – der Hintergrund kann gut sein, muss es aber nicht.
Nur woran erkennt man nun einen guten Therapeuten?
An seiner Schule jedenfalls nicht, denn jede Ausbildung steht und fällt mit dem eigenen Engagement, den Lernunterlagen und den Dozenten. Selbst medizinische
Vorkenntnisse sagen nicht viel aus. Ein Humanphysiotherapeut beispielsweise kennt den Bewegungsapparat und die Statik des Menschen, nicht des Tieres. Es gibt sogar Wochenendkurse, nach denen man
sich als Osteopath bezeichnen darf, wohingegen ein Quereinsteiger bis zu zwei Jahre nichts anderes lernt, als ausschließlich diesen Beruf. Nicht einmal die Mitgliedschaft in einem Verband ist
mehr aussagekräftig, denn jeder Schule steht es frei, für die eigenen Schüler einen Verband zu gründen.
Wer auf der Homepage einer Therapeuten-Praxis schmökert und dort aber regelmäßige Fachfortbildungen aufgelistet findet, weiß zumindest, dass der Anbieter am Ball
bleibt und an seinen Kenntnissen arbeitet.
Ein guter Therapeut...
...sieht sich das Tier nicht nur an, er fühlt es auch ab.
Nicht immer lassen sich Verspannungen oder Entzündungen mit dem bloßen Auge erkennen.
Eine gute Erstanamnese besteht aus Ganganalyse, Adspektion (optische Betrachtung), Palpation (Untersuchung durch Abtasten) und der Befragung des
Tierbesitzers.
...nimmt sich Zeit, um das Tier genau zu untersuchen.
Ein bis zwei Stunden sind normal beim ersten Termin, denn was will man in 10 Minuten schon feststellen können?
...kennt seine Grenzen.
Er erzählt nicht, was der Besitzer hören will oder legt sich Antworten auf Fragen zurecht, auf die er keine Antwort hat, sondern verweist zur Not an einen Kollegen
oder – und das ist keine Schande – schlägt nach, bevor er antwortet.
...ist herstellerunabhängig.
...scheut nicht davor zurück, dass er falls erforderlich mit dem Tierarzt, Sattler, Schmied usw. zusammenarbeitet.
...kennt die physiologischen Bewegungsabläufe und Strukturen im Körper.
Deshalb reißt er nicht an Gelenken, denn dies kann zu irreparablen Schäden führen. Er achtet darauf, dass die Muskulatur aufgewärmt ist, bevor er sanft mobilisiert
oder manipuliert.
...erzwingt nichts und arbeitet nicht gegen das Tier.
...liest aus den Reaktionen des Tieres, was gut ist und was nicht und wann es genug hat.
...erklärt während der Behandlung, was er macht und warum.
...nimmt während des Termins keine Telefonanrufe entgegen, sondern konzentriert sich auf seine Arbeit.
...versucht nicht, alles in einen Termin zu drücken.
Mehrere kleine Schritte führen eher zum Ziel, als alles über einen Haufen zu brechen – ein Körper braucht Zeit, um sich umzustellen.
...weist den Tierbesitzer auf mögliche Folgereaktionen der Behandlung hin und wie lange das Tier geschont werden sollte.
...zeigt, falls nötig, dem Besitzer Übungen, die dieser bis zum nächsten Termin machen kann/soll.
...benutzt nicht pro forma Elektrogeräte, sondern setzt sie mit Bedacht nach ausführlicher Anamnese ein.
...steht auch zwischen den Terminen für Rückfragen zur Verfügung.
...macht keine falschen Versprechungen oder Hoffnungen, sondern gibt klar an, was er für möglich hält.
...arbeitet ruhig und entspannt.
Eine Hand ist möglichst immer am Tier, die Fingernägel sind kurz, um Schmerzen bei bestimmten Griffen zu vermeiden.
...achtet auf Hygiene.
Zwischen den Terminen werden Hände und Schuhe desinfiziert und die Kleidung gewechselt (außer bei mehreren Terminen an einem Ort). Ebenso wird der Schmuck von
Händen und Armen abgenommen, denn auch damit kann man übertragen.
Zu guter Letzt muss dennoch gesagt werden, auch Therapeuten sind nur Menschen. Selbst der gewissenhafteste übersieht einmal etwas. Jedoch kann sich ein guter
Therapeut Fehler eingestehen und tut sein Bestes, um diese wieder zu korrigieren.
Vera Trübswetter, Tierphysiotherapeutin